Error 404 - oder der Traum vom Computer-Hirn



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Im 18 Jh. sorgte ein Buch von Julien Offray de La Mettrie für Furore: L'Homme Machine . Das Werk ist eine direkte Antwort auf Descartes, der mit seinem berühmten Leitsatz im Discours de la Méthode - "Ich denke, also bin ich" (Quatrième partie) - die Zweiteilung des Menschen in Seele und Leib statuiert hatte. Die Seele denkt und ist das an sich des Menschen, das sich im Körper verweltlicht. Descartes vermutete die Selbsttätigkeit der Seele in der Zirbeldrüse. Der Mensch, der sich seiner Existenz vergewissern wollte, war auf sein Bewusstsein zurückgeworfen, das in einem kleinen Klumpen Gehirn eingeschlossen für die Denkfähigkeit sorgte. Da Tieren dieses Bewusstsein fehle, waren sie für Descartes im Gegensatz zum Menschen lediglich Maschinen. An diesem Punkt setzt die Kritik von La Mettrie an. Sein Maschinen-Mensch ist - im Gegensatz zu den Tieren Descartes' - alles andere als ein Automat. In seinen Schriften sind Vergleiche wiederkehrend, die menschliches Verhalten eher in eine Analogie zur Pflanzenwelt setzen. Das Bild des Maschinen-Menschen will bei La Mettrie bedeuten: Descartes, wir sind nicht anders als Tiere. Wir sind wie diese empfindende Wesen und unser Bewusstsein erwächst aus chaotischen Sinneseindrücken, die das Vorstellungsvermögen (imagination) zu Gedanken ordnet. Der Mensch unterscheidet sich bei La Mettrie durch die Sprache von den Tieren. Aber es ist ein lediglich gradueller und biologischer Unterschied, der darauf zurückzuführen ist, dass Tiere für den Ausdruck ihrer Empfindungen andere Artikulationsweisen entwickelt haben.

Aber warum sollte es sich lohnen heute auf einen Disput zurückzukommen, der vor dreihundert Jahren aktuell war? Schliesslich haben uns in dieser Zeit die Wissenschaften - sei es die Psychologie, die Hirnforschung oder auch die Linguistik - mit Erkenntnissen versorgt, die damals nicht vorhanden waren. Doch im Kern der Polemik von La Mettrie gegen Descartes entfaltet sich eine Polarität, die seit der Antike (Platon, Aristoteles) und bis in unsere Tage das Denken des Abendlands prägt (wenn auch nicht immer offensichtlich). Es geht darum, wie wir unser Verhältnis zur Welt definieren: Wenn wir den Standpunkt von Descartes einnehmen, werden wir geneigt sein, Ideen zum Ausgangspunkt unserer Auseinandersetzung mit der Welt zu machen. Vielleicht werden wir davon überzeugt sein, es gebe in unserem Bewusstsein Angeborenes - Rationalität, Intelligenz, kognitive Strukturen - die uns zur Erkenntnis und zum richtigen Umgang mit der Umwelt führen. Wenn uns La Mettrie anspricht, dann ist es wohl, weil wir mit ihm einig gehen, dass uns nur die Erfahrung zu Aufschlüssen anleiten kann. Ideen sind in dieser Optik Abstraktionen dessen, was wir sinnlich erleben. Für La Mettrie - und darin wirkt er unerhört aktuell - bildet sich Intelligenz in der physischen Organisation des Hirns ab, die wiederum eine Ausprägung der Erfahrung ist.

Weder Descartes noch La Mettrie haben eine abschliessende Lösung für die Frage geliefert, wie sich unser Bewusstsein entwickelt hat. Das hat noch niemand getan. Und wenn heute Denker wie Daniel C. Dennet behaupten, das Gehirn sei eine Art Computer, auf dem zwar nicht binärer Code, aber dafür semantische Information läuft (Dennet, 2017, 111), dann befinden wir uns exakt in den Fragestellungen, die im 18 Jh. wirkten. Dabei steht das Konzept von Dennet vermutlich demjenigen von Descartes viel näher, als er vielleicht selber behaupten würde. Denn implizit ist seiner Analogie, dass das physische Hirn nicht mehr als eine Hardware ist - eine Maschine - deren einziger Zweck es ist, als Hilfsmittel für die Software zu dienen. Allein auf diese kommt es aber an und diese ist es, die den Unterschied zu den Tieren ausmacht (Dennet. 2017, 171). Das Gehirn ist bei Dennet eine Infrastruktur, auf der Information gespeichert und abgerufen werden kann. Konsequenterweise wird das Lesen seiner Bücher zuletzt damit verglichen, dass man sich eine App für den eigenen Necktop downloaden kann. (Dennet, 2017, 302).

Ohne dass es uns bewusst wäre, stehen wir als Lehrpersonen oftmals Descartes oder auch Dennet sehr nahe. Vieles in der Lehre hat damit zu tun, dass Überlegungen darüber angestellt werden, wie die begrenzte Aufmerksamkeit und das unvollkommene Gedächtnis von Lernenden überlistet werden können. Ob es sich um Theorien des instruktionellen Designs oder des cognitive Workload handelt, immer geht es um das eine: Wie kann ich das Hirn dazu bringen, Information besser zu prozessieren und abzuspeichern? Mit viel methodischem Geschick gelingt es sicherlich, Optimierungen zu bewirken. So bleiben wir überzeugt, dass Lernen mit dem guten Prozessieren von Information zu tun hat. Und Unterstützung erhalten wir nicht zuletzt von der Psychologie, welche die Leistungsfähigkeit des Hirns in IQs zu messen versucht (immerhin nicht in Bytes oder Prozessorgeschwindigkeiten).

Aber es könnte auch sein, dass La Mettrie auf seine Weise Recht behält, wenn er annimmt, der Mensch sei ursprünglich nicht dafür geschaffen worden, ein Savant - ein Gelehrter zu sein. Damasio, einer der angesehensten Neurowissenschaftler der Gegenwart, bringt sehr stichhaltige Gründe dafür, dass das denkfähige Hirn nicht ein biologischer Computer, sondern ein Fortsatz des vegetativen Nervensystems ist. Seine Funktion bestünde nicht primär darin, Ideen (Descartes), semantische Information oder Thinktools (Dennet) zu prozessieren, sondern ein Mapping des Körpers, des systemischen Zusammenspiels der inneren Organe sowie der externen Einwirkungen auf den Körper vorzunehmen. Die Homöostase  - das Wohlergehen des Körpers - zu überwachen und steuern, das wäre in dieser Optik die Aufgabe des Hirns. Die Denkfähigkeit, die Descartes noch als Wesen des Menschen sah, wäre sodann ein Teil-Aspekt eines biologischen Regulierungsprozesses, der in den elementaren Emotionen und im Gefühl seinen Haupt-Antrieb und Ursprung hat. Wenn La Mettrie und Damasio nicht irren, dann brauchen wir vielleicht eine Didaktik, die Erfahrungen und Emotionen ins Zentrum des Handelns rückt. Eine Didaktik der Empfindsamkeit. 





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