"The Medium Is the Massage"







Die Corona-Krise hat sämtliche Fragen zu den Eigenheiten digitalen Lernens regelrecht "unterlaufen", zumindest im Alltag vieler Schulen und Bildungsinstitutionen. Die sofortige Umstellung auf Fernunterricht war in vielen Fällen gleichbedeutend mit einer "Umkodierung" von Unterrichtssequenzen und -programmen, die für den Präsenzalltag konzipiert waren. Aufgrund der Dringlichkeit, die das Handeln angeleitet hat, standen auch keine grundsätzlichen Überlegungen zu diesem Übersetzungsprozess im Fokus. Als Bildner/-innen haben wir uns vielfach so verhalten, als ob es keine Rolle spielt, was überhaupt von der analogen Welt in die digitale übersetzbar ist und was nicht. Noch weniger stand vielleicht der Zweifel im Vordergrund, ob alles, was übersetzbar ist, auch eine Übersetzung verdient. Und weil Krisen vieles legitimieren, aber am allermeisten wohl das, was ohnehin schon Anwendung findet, stand auch nicht der Gedanke im Mittelpunkt, dass womöglich digitales Lernen etwas ganz Anderes sein könnte als in den Schulstuben sonst zur Geltung kommt.

Viele Lehrpersonen und Bildungsverantwortliche haben ganz pragmatisch das getan, was in ihrer Lage auch vernünftig war: Sie haben sich mit den digitalen Tools vertraut gemacht, die an ihren Institutionen gerade im Einsatz sind oder aufzutreiben waren, und haben ihre Lehrprogramme an die Mittel adaptiert, die ihnen zur Verfügung standen. Die Sinngebung darüber, was "digitales Lernen" bedeutet, war somit zwangsläufig durch die technischen Tools (mit-)bestimmt, die zum Einsatz kamen, seien dies "Teams", "Zoom", "Moodle" und wie sie alle heissen. Dieser Umstand ist nicht nur naheliegend, sondern auch interessant. Denn wie wir spätestens seit McLuhans "The Medium is the Massage" wissen, sind Medien gleichsam Erweiterungen unserer Sinne und unseres Denkens. Und umgekehrt prägen sie auch unseren Erfahrungshorizont. In welcher Wechselbeziehung stehen somit die Medien des digitalen Lernens mit dem Design von Bildungsveranstaltungen, also mit den pädagogisch-didaktischen Überlegungen?

Eine fundierte Antwort auf diese Frage gibt im Blog von scil   Christoph Meier, der für ein Primat der pädagogisch-didaktischen Überlegungen über den technischen plädiert. Zuerst sollten die Lern- und die Entwicklungsziele definiert sein, dann die methodischen Formate und erst zuletzt die technischen Mittel. Gegen diesen linearen Orientierungsrahmen lässt sich im Grundsatz nichts einwenden, aber mit Blick auf die Praxis vielleicht zweierlei anmerken:

1) Im Alltag dürfte die Planungskaskade kaum so idealtypisch verlaufen und in manchen Fällen könnten es die technischen Routinen sein, die den didaktischen Horizont ziemlich unreflektiert präfigurieren.

2) Planungskaskaden mit deduktivem Denkmuster sind dann wirksam, wenn man eine Kontrolle über die Prämissen hat. Im konkreten Fall muss vorausgesetzt sein, dass die Lernziele im Planungsprozess eindeutig gesetzt werden können. Tatsächlich ist dies häufig nur in formal-normativen Kontexten so klar, wo die Bildungseinrichtung, die Dozentenschaft oder abstrakter der "Lehrplan" die Ziele zentral vorgibt.

Schenken wir dem Leitsatz von Rolf Arnold Gehör, dass Lernen einer Aneignungs- und nicht einer Vermittlungslogik folgt, gibt es eine dritte Option. Vielleicht sollte das Bildungsdesign weder bei den "formalen" pädagogisch-didaktischen noch bei den technischen Überlegungen starten, sondern ganz konkret bei den Menschen, die etwas lernen möchten. Die zentralen Fragen sind dann: Was sind die Bedürfnisse der Person, welche Ziele hat sie sich gesetzt, welche Kompetenzen will sie erlangen, welche Lernerfahrungen und Ressourcen hat sie, welche benötigt sie und wie kann ich ihr als Bildner/-in, Mentor/-in, Coach auf ihrem autonomen Lernweg behilflich sein, eine Beziehung herstellen und pflegen? In diesem Setting kommt den technischen Tools und den Medien eine vielschichtige Rolle zu:

a) Sie sind eine Ressource, die im Lernsetting von Anfang an bedacht werden muss, weil Personen bestimmte Medien zur Verfügung haben und beherrschen oder womöglich nicht (Computer und Internetanschluss sind mitnichten selbstverständlich)

b) Die Gestaltung der Kommunikationen und des Informationsflusses, ferner die Reflexion und die Dokumentation des Lernens müssen so konzipiert sein, dass sie die realen Gegebenheiten und den Erfahrungskontext der Lernenden einschliessen 

c) Sie helfen den Lernprozess nicht nur zeitlich und örtlich zu dezentralisieren, sondern sind auch so gewählt, dass deren Nutzung im Alltag der Menschen niederschwellig stattfindet

Einen Ansatz dieser dritten Art haben wir im Rahmen der Integrationsvorlehre an der EBZH verfolgt:



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